Zwischen Tom Sawyer und Ottokar

07.10.2004 / LOKALAUSGABE / NIEDERRHEIN

RÜCKBLENDE / Wie erlebten Kinder die DDR? Antworten zwischen Spielzeug und Parteiabzeichen gibt es in Kalkar-Wissel.


Ron Franke, Wesel (im Auftrag der NRZ, 4.10.2004Erich Honnecker hängt da immer noch. Unten, wenn man reinkommt, rechts. Ein bisschen blass ist er geworden, kein Wunder. Wenn sich die schwere hölzerne Türe öffnet, knallt ihm die niederrheinische Sonne mitten ins Gesicht. Außerdem: der Mann spielt jetzt keine Rolle mehr, die Jugend ist das Thema: "Die Jugend in der DDR". Und die kommt im Erdgeschoss des kleinen Stiftsmuseums in Kalkar-Wissel, gleich neben der Clemenskirche und dem Friedhof, unübersehbar zu Wort.Dana Schieck, 29 inzwischen, und Museumsleiter André Wemmers (34), haben pünktlich zu 15 Jahren Einheit eine neue Wechsel-Ausstellung im alten Kanonikerhaus installiert: Die Dauerschau zum Alltagsleben in der DDR wird verstärkt durch Geschichte und Geschichten aus der Welt der jungen DDR-Bürger.Ein wenig textlastig ist die Schau, vielleicht, aber das ist wohl auch nötig: Was wissen Wessis schon vom normalen Leben in der alten DDR? Womit haben Kinder im Osten gespielt, wie sah der Alltag bei den Pionieren aus? Welche Musik hat "man" gehört? Wieviel Staat gabs im Unterricht? Man muss schon ein bisschen Zeit mitbringen, um die kleine Schau auf sich wirken zu lassen und in eine doch fremde Welt einzutauchen. Wer Glück hat, trifft Dana Schieck an. Die junge Dame kann eine ganze Menge erzählen, kein Wunder, als die Mauer fiel, war die gebürtige Ostberlinerin 14 Jahre alt und reichlich mit Erfahrungen aus organisierten Jugend- und Erziehungsfreizeiten gesegnet.

Damit zusammenwächst, was sich nicht kennt

"Nicht alles war schlecht, in der DDR", sagt die Studentin der Geschichte heute, "aber bei alle den Ostalgieshows, die zurzeit über die Mattscheiben flimmern, wird vergessen, dass der Staat sich überall einmischte, Bespitzelung und Angst an der Tagesordnung waren. Warum so viele Menschen die DDR auf den unterschiedlichsten Wegen verlassen wollten und dabei teilweise ihr Leben lassen mussten, warum es zur Wende kam - diese Fragen werden großräumig ausgespart."

In Wissel wollen die beiden angehenden Historiker mit Vorurteilen und Nichtwissen aufräumen und informieren. "Wie haben die Menschen in der DDR gelebt? Was haben sie gedacht, was hat sie bewegt?"

Was der eigene Haushalt oder die Verwandtschaft nicht hergaben, haben André Wemmers und Dana Schieck zusammengesammelt und ertrödelt: Fahnen und Wimpel, Zeugnisse, Klassenbücher, Abzeichen, Spielzeug. Tom Sawyer war in Ost-Kinderstuben übrigens genau so zu Hause wie im Westen - neben den Geschichten von Ottokar Domma.

Vom Leben im Alltag

Man erfährt aber auch, wie schwierig es war, ein Urlaubsquartier an der See zu bekommen - "da musste man manchmal Jahre drauf warten", - ausführlich geschildert wird das Leben in den betrieblichen Ferienlagern, in den Pioniergruppen und Jugendclubs. Nicht nur eitel Sonnenschein war das, natürlich nicht. "Wer seine Staatsbürgerkunde nicht konnte, wurde nicht zum Abitur zugelassen."

Oder wurde in den Jugendwerkhof Torgau "versetzt" um dank rigoroser Erziehungsmaßnahmen doch noch zu einem vollwertigen Mitglied der sozialistischen Gesellschaft zu werden.

Dana Schieck führt gerne durch die Ausstellung, besonders gern Schulklassen. Eine Anmeldung zuvor ist unbedingt notwenig, Dana Schieck und André Wemmers leben und studieren in Berlin. Im Internet findet sich eine ausführliche Beschreibung der Ausstellung. Und wer Original-DDR-Alltagsgegenstände auf dem Speicher hat: die beiden sammeln alles - vom leeren Waschmittelkarton über die inzwischen schon kultigen Spreewaldgurkengläser bis hin zum Schulheft und Fahnenweihe-Foto.

"Jugend in der DDR", Stiftsmuseum Wissel, Köstersdick 7, noch bis 7. November. Geöffnet: samstags und sonntags, 15-17 Uhr. Oder nach Absprache mit Helma Hubbertz, Tel: 02824/61 08. Eintritt: 1,50 Euro (Kinder bis 14 Jahre gratis). www.ddr-geschichte.de
 

HEIKE WALDOR-SCHÄFER
 

PS: Trotz mehrfachen Bemühens ließ sich der im NRZ-Archiv abgespeicherte Artikel nicht verlinken, so daß er an dieser Stelle bereitgestellt wurde... Sollten diesbezüglich seitens der NRZ Einwände bestehen, bitte ich um Mitteilung. Vielen Dank!

 

Ron Franke, Wesel (im Auftrag der NRZ, 4.10.2004

Ron Franke, Wesel (im Auftrag der NRZ, 4.10.2004)

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